Omar Alshogre – Phönix aus der Asche (I)

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Der Name der Route in lateinischer und arabischer Schrift

Im Sommer habe ich an einer aussergewöhnlichen Kletterroute gearbeitet. Die abschüssige, schwer kontrollierbare Platte ist mit schmerzhaften Microleisten durchsetzt und zeichnet sich durch anhaltende, unerbittlich anstrengende und crazy Züge aus. Plattenklettern war nie meine Stärke. Als „Old-school-Kletterer“ bin ich zwar auf Platten und in Rissen groß geworden, aber mir liegen eher athletische Moves im überhängenden Gelände. Umso mehr hat mich die abweisende Linie an dem kompakten, glatten Edelfels, an dem ich in diesem Jahr mehrere Routen erschlossen habe, herausgefordert. Dieses Stück herrlichster Fels erfordert ein hohes Merkvermögen. Die Bewegungen und Positionen können nur dann erfolgreich kombiniert werden, wenn alles 100% passt. Ab dem allerersten Zug ist deshalb durchgehend Konzentration, Präzision und voller Einsatz gefordert. Bei mehreren erfolglosen Versuchen war ich immer an der Schlüsselstelle in Wandmitte abgeplatzt.  Mein Bewegungsplan war nie perfekt. Ende Juli startete ich endlich mit einem detaillierten Plan für absolut jede Tritt- und Griffabfolge. Vom ersten bis zum letzten Zug war mir klar, was zu tun ist.

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Omar Alshogre – Phönix aus der Asche.

Mit jedem Meter, den ich höher komme, saugt mich die Route aus. Schwer atmend und deutlich angepumpt erreiche ich die Crux in Wandmitte. Eine komplexe Passage mit fiesen Seituntergriffzangen und rutschigen Trittchen erwartet mich. Roboterartig, ohne irgendeinen Gedanken an Erfolg oder Mißerfolg zu verschwenden, rette ich mich gerade noch so durch die Schlüsselstelle. Jetzt bin ich kraftmäßig schon ziemlich am Ende. Ob ich noch genug Reserven habe, um die Tour zu schaffen? Die folgenden ungewöhnlichen und instabilen Einzelzüge sind weiterhin sehr anstrengend.  Als ich den rechten Fuss zu früh auf eine schmierige Delle heppe, manövriere ich mich in eine Sackgasse. Ich kann mich weder vor- noch zurückbewegen. Ich bin wie festgenagelt. Kurzzeitig kommt Panik auf. Da dringt von unten aufmunterndes Brüllen an mein Ohr: „Auf geht’s Nils, das geht, mach es!“ Irgendwie werden die Laute an meine Großhirnrinde weitergeleitet, welche wiederum mein limbisches System beauftragt: Kampfwillen einschalten! Aus der Körpermitte heraus kann ich einen Impuls setzen und mich befreien. Mit zitternden Knien rette ich mich in die Ruhestelle im oberen Drittel. Ganze 10 Minuten stehe ich verspreizt in der Schüttelposition, um Atemfrequenz und Tonus herunterzupegeln. Den krönenden Abschluss der krassen Platte bildet ein abgefahrener Boulder, die 2. Crux: ein Aufsteher, der fast ausschließlich mit dem linken Bein auszuführen ist. Ich konnte diese Bewegung bisher nur einmal und nur aus dem Hängen klettern. Eine höchst prekäre Situation. Gerade deshalb starte ich mit voller Entschlossenheit in das Finale. Morituri te salutant. Ich weiß nicht mehr, wie ich die Stelle bewältigt habe. Ich erinnere mich, dass ich in der Crux einen Schrei ausstieß, und wie ich plötzlich am Schlussgriff hänge und das Seil in den Umlenker clippe – geschafft! Ich jubele und jauchze. Nach dem Gefühl völliger Ermattung, dem ich noch kurz zuvor beinahe erlegen wäre,  fühle ich mich jetzt fast wie „Phönix aus der Asche“. Meine erste 8a auf einer Platte! Ich kann es kaum fassen. Ich habe die Route nach Omar Alshogre benannt, einem jungen Mann, der Unfassbares überstanden und Unfassbares geleistet hat – wie der mystische Vogel Phönix hat er sich aus der Asche erhoben. Aber das ist eine andere Geschichte

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Der Einstieg der Omar Alshogre. Vom ersten Zug an muss mit vollem Einsatz geklettert werden.


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Am Beginn der Crux – jeder kleinste Fehler bedeutet das Ende

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Schlüsselstelle geschafft, aber wie weiter?


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Völlig ausgepumpt in den komplexen Zügen des oberen Drittels der Platte

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Die 2. Crux kurz vor dem Umlenker, mit dem Aufrichter, der mir alles abverlangt hat

Hier geht’s weiter mit dem Sebaldstein.

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