Sardegna

Seit über 40 Jahren besuche ich mit Kletterschuhen die schöne Mittelmeerinsel Sardinien. Bei meinem ersten Besuch 1983 war ich sicherlich ein Exot. Ich boulderte an ein paar Granitblöcken während mir schwarz gekleidete Alte kopfschüttelnd zusahen.

Über ganz Sardinien verstreut sind eindrucksvolle Zeugnisse der vorchristlichen Nuraghenkultur zu entdecken. Hier ein ca. 4000 Jahre altes Clangrab nordwestlich von Nuoro (bitte nicht beklettern!)

1990 war ich ein zweites Mal auf Sardinien, inzwischen gab es die ersten Sportkletterrouten. Dieses Mal hatte ich sogar ein Seil auf meine Vespa gepackt. Es existierte nur ein rudimentärer Topo-Guide mit ein paar simplen Skizzen. Ich kletterte damals im Top Gebiet Punta Pilocca und im Gennargentu (Zentralgebirge) bis 6b+.

Erstbegehung an der Punta Giradili, 900 m über dem Meer (Kletterführer „Pietra di Luna“ v. Maurizio Oviglia)

Seitdem ist viel passiert, was Klettern in Sardinien angeht. Die Insel im thyrrenischen Meer ist ein Kletterparadies, das für jede Vorliebe und jede Jahreszeit etwas zu bieten hat. Geschätzte 10.000 Sportkletterrouten und 100e Mehrseillängenrouten und Boulderblöcke wurden bis heute erschlossen.

Manolo, „Il Mago“, klettert „La Vigianite“ (8a) in der Fuilischlucht ca. 2002 (Kletterführer „Pietra di Luna“, von Maurizio Oviglia)

Dennoch: immer wieder habe ich mich bei meinen Besuchen auf der Insel gewundert, dass so viele fantastische Felsen noch nicht erschlossen wurden (da mehr als 15 Minuten Zustieg 😉).

Bereits bei meinen ersten Besuchen fielen mir in der Gegend von Jerzu-Ulassai eine Ansammlung von außergewöhnlich schönen Wänden auf. Auch Manolo, der italienische Klettermagier, erwähnte die Gegend südlich des Gennargentu Mitte der 1990er als Kletterarena der Zukunft.

Das Bergdorf Ulassai ist von Kletterfelsen eingerahmt, im Hintergrund, 800 m tiefer, leuchtet die thyrrenische See

So setzte um die Jahrtausendwende eine Erschliessungswelle um Jerzu-Ulassai ein, die bis heute über 1000 Routen, davon viele Erstklassige, hervorgebracht hat. Einen Vergleich mit Kalymnos oder Tarnschlucht braucht die sardische Top-Destination deshalb nicht zu scheuen. Vor kurzem wurde dort sogar die erste 9a (durch Giorgio Tomatis) befreit.

Nils in „Il Richiamo di Mare“ (der Ruf des Meeres / 6a+), 4 Seillängen hoch über dem Meer

Im Spätherbst dieses Jahres war es endlich soweit: ein erneuter Besuch in Sardinien. Zum Einstand kletterte ich eine wunderschöne, relativ neue Mehrseillängenroute an einer bei Baunei steil aus dem Meer aufragenden Nadel namens Pedra Longa.

Links spitz die Pedra Longa hervor – die Route verläuft entlang der rechten Wandkante bis 150 m über dem Meer.
Ulassai: der tafelbergartige „Su Casteddu“ im Abendlicht, im Hintergrund präsentieren sich die Sektoren von Jerzu

Im Anschluss ging es weiter in das Bergdorf Ulassai. Der Ort hat noch viel vom vormodernen Sardinien bewahrt und übertraf meine Erwartungen bei Weitem. Ein äusserst ungewöhnlicher Wettersturz zuckerte Ulassai für einen halben Tag ein, dann folgte wieder das übliche Herbstwetter – prime conditions für Kletternde.

Am Morgen nach dem Wettersturz: Ulassai mit Schnee überzuckert
Prime Conditions in Ulassai: Der Sektor „Bauarena“, in dem es von 3 Sterne Touren nur so „wimmelt“ (must do: King Carnute/7b+)

Was mir, neben den klasse Felsen, besonders gefiel: sehr freundliche Einheimische (alle grüßen alle und immer!), moderne (!) Kunst ohne Ende, nicht nur von Maria Lai, ein original Graffity von Banksy.

Menschenkunst: von Maria Lai, dem gebürtigen Sarden Gramsci gewidmet
Die original „Parachute Rat“ von Banksy an einer Hauswand in Ulassai

Weiterhin: echte lokale Tradition, wunderschöne, unberührte Landschaft, viele Ziegen, leckere reife Kaktusfeigen, Esel, eine uralte Weberei, die bis heute alleine von Frauen als Kooperative am Laufen gehalten wird, eine sympathische Klettercommunity usw.

Der Geruch eines alten Kletterschuhs hilft gegen neugierige Ziegen

Was ich nicht antraf: SUVs, Riesensupermärkte, ignorante Touris, mieses Restaurantessen, Abzocke, Pseudofolklore, Ramschläden, stressige Kletterhallenatmosphäre, Angeber, Konsumterror etc.

Klettern bei 20°+ im Sektor Arcadio (Cala Golone)
Nils bouldert in „Un Panino e via“ eine bekannte, sackharte 7c von Altmeister Manolo (Foto: Tuomas Maati)

Alles in allem waren es wunderschöne Wochen auf Sardinien, die ich Mitte Dezember mit ein paar Tagen am Meer, im fast menschenleeren Cala Golone, bei 20°+ ausklingen ließ 😊.

Im Spätherbst ist das Meer an der sardischen Küste noch „schwimmbar“
Cala Gonone und der Golfo di Orosei an einem Nachmittag Mitte Dezember

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