Dez. 25
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Seit über 40 Jahren besuche ich mit Kletterschuhen die schöne Mittelmeerinsel Sardinien. Bei meinem ersten Besuch 1983 war ich sicherlich ein Exot. Ich boulderte an ein paar Granitblöcken während mir schwarz gekleidete Alte kopfschüttelnd zusahen.

1990 war ich ein zweites Mal auf Sardinien, inzwischen gab es die ersten Sportkletterrouten. Dieses Mal hatte ich sogar ein Seil auf meine Vespa gepackt. Es existierte nur ein rudimentärer Topo-Guide mit ein paar simplen Skizzen. Ich kletterte damals im Top Gebiet Punta Pilocca und im Gennargentu (Zentralgebirge) bis 6b+.

Seitdem ist viel passiert, was Klettern in Sardinien angeht. Die Insel im thyrrenischen Meer ist ein Kletterparadies, das für jede Vorliebe und jede Jahreszeit etwas zu bieten hat. Geschätzte 10.000 Sportkletterrouten und 100e Mehrseillängenrouten und Boulderblöcke wurden bis heute erschlossen.

Dennoch: immer wieder habe ich mich bei meinen Besuchen auf der Insel gewundert, dass so viele fantastische Felsen noch nicht erschlossen wurden (da mehr als 15 Minuten Zustieg 😉).

Bereits bei meinen ersten Besuchen fielen mir in der Gegend von Jerzu-Ulassai eine Ansammlung von außergewöhnlich schönen Wänden auf. Auch Manolo, der italienische Klettermagier, erwähnte die Gegend südlich des Gennargentu Mitte der 1990er als Kletterarena der Zukunft.

So setzte um die Jahrtausendwende eine Erschliessungswelle um Jerzu-Ulassai ein, die bis heute über 1000 Routen, davon viele Erstklassige, hervorgebracht hat. Einen Vergleich mit Kalymnos oder Tarnschlucht braucht die sardische Top-Destination deshalb nicht zu scheuen. Vor kurzem wurde dort sogar die erste 9a (durch Giorgio Tomatis) befreit.

Im Spätherbst dieses Jahres war es endlich soweit: ein erneuter Besuch in Sardinien. Zum Einstand kletterte ich eine wunderschöne, relativ neue Mehrseillängenroute an einer bei Baunei steil aus dem Meer aufragenden Nadel namens Pedra Longa.


Im Anschluss ging es weiter in das Bergdorf Ulassai. Der Ort hat noch viel vom vormodernen Sardinien bewahrt und übertraf meine Erwartungen bei Weitem. Ein äusserst ungewöhnlicher Wettersturz zuckerte Ulassai für einen halben Tag ein, dann folgte wieder das übliche Herbstwetter – prime conditions für Kletternde.


Was mir, neben den klasse Felsen, besonders gefiel: sehr freundliche Einheimische (alle grüßen alle und immer!), moderne (!) Kunst ohne Ende, nicht nur von Maria Lai, ein original Graffity von Banksy.




Weiterhin: echte lokale Tradition, wunderschöne, unberührte Landschaft, viele Ziegen, leckere reife Kaktusfeigen, Esel, eine uralte Weberei, die bis heute alleine von Frauen als Kooperative am Laufen gehalten wird, eine sympathische Klettercommunity usw.

Was ich nicht antraf: SUVs, Riesensupermärkte, ignorante Touris, mieses Restaurantessen, Abzocke, Pseudofolklore, Ramschläden, stressige Kletterhallenatmosphäre, Angeber, Konsumterror etc.


Alles in allem waren es wunderschöne Wochen auf Sardinien, die ich Mitte Dezember mit ein paar Tagen am Meer, im fast menschenleeren Cala Golone, bei 20°+ ausklingen ließ 😊.

