20 Tage Val di Mello

Unser Campingplatz im Val Masino

Unser Campingplatz im Val Masino

Das Val di Mello/Val Masino besticht durch eine grandiose Naturlandschaft. Ein tief eingeschnittenes Tal trumpft mit lieblichen Almwiesen auf. Die Talseiten sind teils von imposanten Granitplatten eingefasst, die dem Val di Mello den Titel „Yosemity Italiens“ eingetragen haben. Über den steilen Talseiten schließen sich ab ca. 2000 m leicht geneigte, grasbewachsene Hochebenen an. An deren oberem Rand (ab ca. 3000 m) thronen eindruckvolle,  bisweilen schneebedeckte Granitspitzen. Uns (Steffi, Silja und mir) hatten es besonder die lieblichen Almwiesen angetan, denn dort befinden sich viele, interessante Granitblöcke.

"idyllische" Belagerung von "Sex Pistols" (Fb 7c)

"idyllische" Belagerung von "Sex Pistols" (Fb 7c)

Die hat der große Baumeister aller Welten scheinbar einzig und allein um des Boulderns willen dort verstreut. Die Kombination aus herrlichen Boulderproblemen (aktuell ca. 500) und der einmaligen Naturumgebung wirken extrem motivierend. Fast jeden Tag rissen wir uns an dem scharfen Gestein die Finger (und nicht nur die) wund, es war herrlich.  Aber auch darüber hinaus haben wir Einiges erlebt: allmorgendliches Ziegenfüttern, Baden in eiskalten Bächen und Gumpen, riesige Wasserfälle, Stier- und Kuhtreiben, eine Höhenwanderung bis auf 2100m, eine Zirkusaufführung, Wikingergeschichten, einen zweitägigen Fönsturm der sich gewaschen hatte, eine zweitägige Sintflut, die uns durchgewaschen hat, einen extrem unfreundlichen Campinplatzverwalter, eine extrem freundliche Campingplatzverwalterfamilie, einen Höhenmarathon (KIMA) auf dem Sentiero Roma, einen beschrankten Bahnübergang der immer geschlossen ist, Pflanzen die in einem Wohnwagen Urlaub machen usw. Aber natürlich stand im Mittelpunkt der wahre Ernst des Lebens, sprich: Bouldern, Bouldern, Bouldern.

Boulderunterricht wie anno dazumal

Boulderunterricht wie anno dazumal

Ich habe meine ersten beiden 7c geknackt und wieder erfahren, daß Schwierigkeitsgrade beim Bouldern nur zur Orientierung dienen. Insgesamt boulderte ich in den knapp drei Wochen:

4 x 7a RP
4 x 7a OS
3 x 7a+ RP
1 x 7a+ OS
1 x 7b RP
1 x 7b OS
2 x 7c RP
( Fb-Skala).

Weitere 60 Boulder bis 6c+ konnte ich klettern, davon die Allermeisten im Onsight. Die erste Woche waren wir bei Temperaturen von 20 bis 30 Grad unterwegs, danach bei 15 bis 20 Grad..  Fast alle Lösungen bei den Bouldern ab 7a erarbeitete ich mir selbst. Da ich mich bis zu unserem Besuch im Mellotal kaum auf echtes Bouldern am Fels eingelassen habe, bin ich mit dem Ergebnis recht zufrieden. Steffi boulderte ihre erste 6b und Silja ihre erste 6a+ und ein paar weitere 6a.

Besonders hat mich die „Kamasutra“ im Sektor Tarzan, meine erste 7c, beeindruckt. Die „Kamasutra“ ist eine ellenlange, variantenreiche 34-Zug-Traverse an meist relativ großen Griffen. Sie ist (nicht nur) an den  drei Schlüsselstellen exakt auf meine Persönlichkeit und meinen Körper zugeschnitten. So ist die „Kamasutra“ mehr Route als Boulder was mir auch entgegenkommt.

Ein Versuch im "Tarzan" (Fb 7b)

Ein Versuch im "Tarzan" (Fb 7b)

Als ich die „Kamasutra“ das erste Mal sah und kurz durchging, spürte ich sofort, daß sie möglich wäre. Außerdem gefiel sie mir. Sie ist taktisch anspruchsvoll. Ich benötigte 4 Versuche, bis ich die richtige Lösung für den schwersten Zug in der Mitte der „Kamasutra“ heraus hatte. Nach einem weiteren Versuch optimierte ich am Schlüsselzug (Kreuzzug aus einem hohen Hook heraus) einen Handgelenkswinkel und verbesserte damit meine Reichweite. Im anschließenden 6. Versuch hat es geklappt. Nach dem letzten Zug war ich ziemlich ausgelaugt (u.a. Krampf im Oberschenkel). Ich rang nur nach Luft und bekam nicht einmal einen „Siegschrei“ heraus.

"Oscurità" (Fb 7c): Abwärtspatscher abfangen

"Oscurità" (Fb 7c): Abwärtspatscher abfangen

Bei der zweiten 7c lief es ganz anders. Die recht bekannte, durchwegs ca. 45° steile „Oscurità“ (Sektor Bagni di Masino) gibt es als 7a Stehstart oder 7c sit. Markus Härtl (thx!!!) hatte sie mir empfohlen, da sie athletisch ist und große „Patscher“ hat, was ich gerne mag. Die „Oscurità“ schaut beeindruckend aus. Sie befindet sich an einem Bug auf der hangzugeneigten (dunklen) Seite eines großen Blockes, der in einem älteren Tannenwald steht. Nur wenige Lichtstrahlen dringen vereinzelt bis auf den Waldboden, eine geheimnisvolle, abgeschiedene Atmosphäre umgibt die „Oscurità“. Es war „Liebe auf den ersten Blick“.

Ich gehe aus Prinzip fast jede Route und fast jeden Boulder zuerst im Onsight an, bevor ich ausbouldere. Bei der „Oscurità“ (7a) platzte ich schon am ersten Zug im Onsight ab, obwohl ich zuvor ganze 30 Minuten visualisierte. Danach mußte ich etwa 10 bis 20 Mal (!) ausbouldern (hab ich noch nie gemacht bis dato), bis ich eine (scheinbare) Lösung für die 7a hatte. Die Positionen/Züge erfordern viel Spannung, viele Hooks und ein negativ exzentrischer Patscher ist abzufangen (s.a. die beiden Bilder, sind in der zeitlichen Abfolge falsch). Dennoch fiel ich bei ca. 5 weiteren Versuchen immer im Mitteilteil. Ich wurde mißtrauisch und „entdeckte“ eine scheinbar unhaltbare, sehr offene, „obskure“ Zange.

"Oscurità" (Fb 7c): Abwärtspatscher Vorbereitungsphase

"Oscurità" (Fb 7c): Abwärtspatscher Vorbereitungsphase

Als ich zum ersten Mal probeweise an die „obskure“ Zange zog, war ich mir sicher, daß ich sofort abgesprengt würde, doch die Zange hielt überraschend gut, mit ihrer Hilfe konnte ich sogar sowohl den Vor- als auch den Nachgriff  besser fixieren. Zusätzlich war es mir möglich einen Hook entscheidend früher und zugleich stabiler zu setzen. Im nächsten Versuch fiel die „Oscurità“ 7a ganz unspektakulär. Nun galt es, den 7c sit davor zu bouldern. Schon beim ersten Check war mir die 7c-Eingangssequenz, wenn auch unter stärkeren Schmerzen in den Fingerspitzen, gelungen. Im ersten Versuch, kaum 20 Minuten später, fiel auch die Sitvariante, nachdem ich den zu erwartenden Schmerz autogen „weggepolt“ hatte. Mir erschien die „Oscurità“ im Nachinein vergleichsweise leicht. Ein oder zwei schwere Züge mehr hätten meine Kraftreserven, im Gegensatz zur „Kamasutra“, noch locker zugelassen. Vermutlich ist sie für große Kletterer leichter (?). Nichtsdestotrotz, einer meiner schönsten Boulder überhaupt.

Crashpadrodeo 1

Crashpadrodeo 1

Am vorletzten Tag wollte ich eigentlich im Sektor „Sass de la Pulenta“ noch mal angreifen. Allerdings wollte Silja dort nicht hin, sondern mit einer neuen Freundin aus Überlingen lieber Rodeo reiten. So befasste ich mich notgedrungen mit einer „häßlichen“, namenlosen 7b im Sektor Proprietà Privata. Wie immer startete ich zuerst einen OnSight-Versuch, den ich etwa 15 Minuten vorbereitete. Eigentlich war die „Namenlose“ nicht nur häßlich (Sitzstart an schrägem, erdigem Hang, Mantle in einen Tannenbaum hinein) sondern auf Sicht auch ganz und gar nicht mein Ding.

Crashpadrodeo 2

Crashpadrodeo 2

Es galt aus einem Faltsitz heraus (gut für kleine Italiener, für mich nur iiii) an eine weit überhängende, runde Kante zu dynamisieren, mehrfach weiterzuschnappen und sich dann mittels Hook und Aufhocken bzw. halbseitig mittels der beliebten „Robbentechnik“ und abschließendem Mantle auf den Block zu quälen.  Mit meiner Körpergröße klappt es meistens an der Kante nicht. Die unpassenden Winkel frieren mich oft in einer Endstellung ein. Weiterziehen bedeutet nicht selten Knietrauma. Es kam jedoch ganz anders: Der Jump an die Kante saß incl. Schwungkontrolle sofort passgenau. Während ich auf Anschlag hinter der Kante weiterschnappte, merkte ich, daß Tritthöhe und Knickwinkel meiner Hüfte exakt mit der Beschaffenheit der Blockkante korellierten. Außerdem wurden die Griffe beim Weiterziehen nicht über 30° offen.

Crashpadrodeo 3

Crashpadrodeo 3

Ein 4er im Lotto für einen Lulatsch wie mich, denn normalerweise passt bei schweren Zügen über waagerechten Kanten einer der drei vorgenannten Faktoren nicht und verhindert damit den Erfolg. Obwohl meine Körperposition nicht ganz optimal war, und der Feinschliff des Ausboulderns fehlte, explodierte ich förmlich und knackte die 7b Onsight.  Ich fand den Boulder danach ausgesprochen schön, trotz Weberknechtstart und Tannenmantle! An diesem Tag merkte ich, daß 3 Wochen Mellobouldern Wirkung zeigten, noch zwei weitere 7a+ gingen, davon eine ebenfalls im Onsight.  Die andere war ein „must-do-testpiece“: „L`Inglese“ am Sass de la Pulenta. Gemäß dem Motto, „wenn`s am Schönsten ist, soll man abbrechen“, fuhren wir vorgestern über den Splügenpass zurück ins verregnete München (wir hatten im Mellotal fast nur schönes Wetter). Wir werden wiederkommen, ganz bestimmt!

Vielen, vielen Dank an Markus+Vicky+Elias+Anne sowie Gregor+Frau+Paul aus Villach, ebenso an Nobbi+Francoise aus Miesbach, Wendy+Mann+Anne aus Überlingen, Martina und die nette Family vom Campingplatz, Alex+Franz+Markus aus Augsburg, die „Drei vom Heavens Gate“ und einige weitere, uns namentlich nicht bekannte Boulderer, die uns begleiteten und/oder unterstützten.

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