Elnaz Rekabi und die Angst der Diktatoren

Elnaz Rekabi klettert ganz befreit im Finale auf den Asienmeisterschaften auf

Kürzlich habe ich über die bekannte iranische Klettererin Elnaz Rekabi und ihren Mut zur Freiheit berichtet. Ich habe meine Befürchtung geäussert, dass Elnaz unser aller Unterstützung benötigen wird, denn sie hat es gewagt ohne Kopftuch bei den Asian World Masterships zu klettern.

Leider haben sich meine Befürchtungen bestätigt. Elnaz wurde noch am selben Tag, an dem sie selbstbewußt ohne Kopftuch im südkoreanischen Seoul eine Spitzenkletterleistung darbot in die dortige iranische Botschaft entführt. Dort wurde sie „bearbeitet“ und zeitgleich ihr Bruder, der ebenfalls iranischer Klettermeister ist, im Iran festgenommen. Nach Elnaz Rekabi’s Ankunft im Iran wurde sie zu der Äußerung gezwungen, dass sie das Kopftuch versehentlich nicht aufgesetzt hätte. Das iranische Ministerium für Sport und Jugend garantierte dem IFSC und dem Olympischen Komitee, dass Elnaz Rekabi weiter bei internationalen Wettkämpfen antreten darf. IFSC und Olympisches Komitee veröffentlichten daraufhin dieses Statement (dumm-?) brav und vermittelten damit den Eindruck, dass nun alles gut sei. Genau das war ganz im Sinne des Mullah-Regimes. Dass gar nichts gut ist, zeigt schon alleine daran, dass leitende Angehörige des Sportministeriums die berüchtigste Aufstandsbekämpfungseinheit des Iran unter russischer Geheimdienstanleitung gegründet, ausgebaut und bis heute geführt haben. Diese Einheit ist für zahllose Morde an Oppositionellen im In- und Ausland bekannt. Sie war die erste iranische Einheit die nach Ausbruch der Revolution in Syrien, dorthin geflogen wurde und 1000de Syrer ermordet hat.

Elnaz (3.v.l.) und Davoud (2.v.r.) Rekabi im Sportministerium zusammen mit dem Sportminister und dem Vorsitzenden des iranischen olympischen Kommitees einem ehemaligen Leibwächter des Regimegründers Khomeinii – „alles ist gut“

Nach der braven (naiven?) „Peace-Erklärung“ von Internationalem Olympischem Komitee und IFSC konnte die iranische Diktatur in aller Ruhe ihren Rachefeldzug* gegen Elnaz Rekabi und ihre Familie starten (5 weitere Kletterer*innen wurden mitlerweile ebenfalls vom Regime entführt). Elnaz Rekabi wurde sofort unter Hausarrest gestellt. Sie mußte unterschreiben, dass im Falle einer öffentlichen kritischen Äusserung von ihr, das gesamte Familieneigentum an das Mullah-Regime übergeht. Ab jetzt: kein Training, kein Kletterhallenbesuch, keine Kontakte, kein Handy. Da internationale Klettersportler*innen bekanntlich an 6 von 7 Tagen in der Woche trainieren, wird sich spätestens bis zum Jahreswechsel der Leistungszustand der Spitzensportlerin signifikant und für die Saison 2023 kaum mehr wiederherstellbar abgebaut haben. Spätestens dann darf die Garantiezusage des Regimes „Alles ist gut“ ganz offen als das bezeichnet werden, was sie von Anfang an war: eine Lüge um die internationalen Medien (und die Kletterszene) ruhig zu stellen.

Klettern ist die Individualsportart Nr. 1, ob es den Mullahs passt oder nicht

Die Familie von Elnaz Rekabi ist weiteren Repressionen ausgesetzt: ein Bagger tauchte vor dem Haus von Elnaz Bruder Davoud auf und begann sein Haus** einzureißen. Davoud bekam zusätzlich eine Ladung Pfefferspray ins Gesicht. Hier das Video mit dem zerstörten Haus und dem erschütterten Davoud davor. Zu sehen sind in dem Schutt auch die Medaillen, die Davoud als iranischer Klettermeister errungen hat:

Der Spiegel berichtete ebenfalls über die Zerstörung des Hauses der Rekabis.

Persönlich macht mich die Verfolgung von Elnaz Rekabi und ihrer Familie betroffen, denn ich beobachte seit Jahrzehnten die internationalen Kletterwettkämpfe. Elnaz Rekabi ist mir schon vor vielen Jahren als entschlossene Klettererin mit Herzblut aufgefallen. Eine Frau wie Elnaz wäre bei uns, in einer freiheitlichen Demokratie, sicherlich eine respektierte Sportlerin, egal ob sie einmal 10 Minuten mit oder ohne ein Stück Stoff auf ihrem Kopf geklettert ist. Anders sieht das in Diktaturen aus: die Diktatoren wissen, dass sie ohne Legitimation an der Macht sind und greifen deshalb jede*n an, derdie nicht im vorgegebenen Strom des Herrschers jubelnd mitschwimmt, auch wenn es sich dabei um nationale Meister ihres Sports handelt. Da Diktaturen zudem keiner inneren Kontrolle unterliegen, verwandeln sie sich unweigerlich immer mehr in eine Supermafia, die staatliche Merkmale nur als äussere Hülle zur Verschleierung ihrer inneren kriminellen Strukturen vortäuscht. Hinzu kommt im Falle der iranischen Diktatur ihr Charakter der extremen religiösen Intoleranz.

Es piekst an der Mullah-Nase

Elnaz Rekabi steht deshalb einer Diktatur gegenüber, die sich in 44 Jahren zu einem Horrormonster entwickelt hat: queere Menschen werden im Iran öffentlich an Baukränen aufgehängt. In Gefängnissen und „Polizei“stationen wird in der Regel gefoltert. Frauen (Männer nicht) werden bei Ehebruch in der Regel mit Peitschenhieben bestraft bisweilen sogar gesteinigt. Gerichtsurteile haben mehr mit Geldzahlungen zu tun als mit Rechtssprechung. Die Wirtschaft befindet sich zu 80% in den Händen des Regimes. Wirtschaftlicher Erfolg kommt im Iran nicht durch echte Leistung sondern durch Vitamin B zustande. Das Land ist nach 40 Jahren korrupt bis auf die letzte Haarwurzel.

Die staatliche iranische Agentur ISNA veröffentlichte dieses Foto: während Dutzende Frauen auf den Straßen des Landes Kopftücher verbrennen und dafür erschossen werden, dürfen Regimeanhänger*innen ohne den Stoff auf dem Kopf jubeln

Richtig wütend macht mich zusätzlich die Willkür dieser organisierten Unmenschlichkeit. Während Elnaz Rekabi und ihre Familie vom Mullah-Regime erpresst, bedroht und schwerst geschädigt werden, veröffentlichen zeitgleich diverse staatliche iranische Medien Fotos von Frauen ohne (!) Kopftuch wie sie (teilweise zusammen mit iranischen „Polizisten“) für das Regime im Iran anläßlich der WM in Katar auf den Straßen Teherans jubeln. Die gewissenlose Boshaftigkeit, mit der gegen Elnaz Rekabi vorgegangen wird, verdeutlicht letztlich aber nur eines:

Elnaz Rekabi

Die Angst der Diktatoren vor einer Frau, die sich weigerte ein Kopftuch zu tragen. Damit sich diese lächerlichen Feiglinge nicht weiter an Elnaz Rekabi austoben können, appelliere ich, gemäß dem Motto von Wolfgang Güllich „klettern heißt frei sein“:

Vergesst diese mutige Frau nicht! Schützt ihr Leben!

Freiheit für Elnaz Rekabi!

*Anmerkung 1: in einer ersten Fassung dieses Beitrages habe ich geschrieben, dass die Rachekampagne des Regimes gegen die Familie seit Elnaz‘ Auftritt auf dem Internationalen Wettkampf in Seoul Mitte Oktober läuft. Dies scheint nach neuesten Erkenntnissen nicht der Fall zu sein. Das Regime hatte die Familie Elnaz schon vor fdem Wettkampf in Seoul im Visier. So mußte Elnaz eine Sicherheitssumme von 35.000 Euro vor ihrem Abflug an die Behörden per Check überreichen, mit der Garantieerklärung verbunden, dass sie nach dem Wettkampf wieder in den Iran zurückkehren würde.

** Anmerkung 2: Auch der Abriss des Hauses der Familie könnte bereits vor dem 16. Oktober vollzogen worden sein, denn der Sonnenstandswinkel weist auf ein früheres Datum, vermutlich September – zum Zeitpunkt des Ausbruchs der Unruhen im Iran – hin.

Comments are closed.